CIRS Berlin ÄZQ Deuschte Krankenhaus Gesellschaft Deutscher Pflegerat e.V.

Fälle des Monats

Fall des Monats "März 2016": Unzureichende Einarbeitung der Beleghebamme

  • Titel: Unzureichende Einarbeitung der Beleghebamme
  • Fall-Nr: 133629
  • Zuständiges Fachgebiet: Frauenheilkunde / Geburtshilfe
  • Altersgruppe des Patienten: 16-20
  • Geschlecht des Patienten: weiblich
  • Wo ist das Ereignis passiert?: Krankenhaus
  • Welche Versorgungsart: Routinebetrieb
  • In welchem Kontext fand das Ereignis statt?: Organisation (Schnittstellen / Kommunikation)
  • Was ist passiert?: Postoperative Übernahme von Patientin mit Präeklampsie nach Sectio aus dem OP durch die diensthabende Beleghebamme bei normotonen RR-Werten, Uterus gut kontrahiert, gute Bilanzierung - seit OP-Einfuhr
    1000 ml bei 800 ml Ausscheidung. Letzte Visite durch den diensthabenden Facharzt ca. 5 Stunden nach OP, am Folgetag am frühen Morgen Anruf durch die diensthabende Beleghebamme (tätig im 24h-Dienst): ab 22:00 Uhr Oligurie von 50 ml.
  • Was war das Ergebnis?: Im weiteren Verlauf gute Ausscheidung bei normotonen RR-Werten und reizloser Wundheilung.
  • Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis?: Die diensthabende Beleghebamme leistete an diesem Tag neuangestellt ihren 3. Dienst in dieser Klinik, ohne das eine korrekte Einarbeitung erfolgt ist. Die Hebammen arbeiten allein über 24h und sind über ein Belegsystem in der Klinik tätig. Trotz Personalmangels ist es unerlässlich, die vom Qualitätsmanagment vorgesehene Einarbeitungszeit strikt einzuhalten. Desweiteren ist unbedingt zu fordern, dass bestehende klinikinterne
    Leitlinien durch alle Mitarbeiter einzuhalten sind. In unserer Klinik existiert ein Standard: Qualitätshandbuch und Leitlinien der Abteilung Geburtshilfe, der unter anderem speziell die postoperative Überwachung von Präeklampsiepatientinnen (stündliche Ein-/Ausfuhkontrolle) beschreibt.
  • Kam der Patient zu Schaden?: nein
  • Welche Faktoren trugen zu dem Ereignis bei?:
    • Kommunikation (im Team, mit Patienten, mit anderen Ärzten etc.)
    • Ausbildung und Training
    • Teamfaktoren (Zusammenarbeit, Vertrauen, Kultur, Führung etc.)
    • Organisation (zu wenig Personal, Standards, Arbeitsbelastung, Abläufe etc.)
  • Wie häufig tritt dieses Ereignis ungefähr auf?: erstmalig
  • Wer berichtet?: k. A.

 

Fachkommentar der Steuergruppe KH-CIRS-Netz Deutschland:

Fachkommentar der Autorinnen und Autoren:

Patricia Gruber, Hebamme BSc, Sachverständige und CRM-Simulator-Instruktorin
Dr. med. Barbara Hoffmann, MPH; in Vertretung der Steuergruppe des Krankenhaus-CIRS-Netz Deutschland
Deutsche Krankenhaus Gesellschaft (DKG)
Prof. Dr. Klaus Vetter, Gynäkologie und Geburtshilfe

Es geht um die postpartale Überwachung einer Frau nach Sectio caesarea. Eine Präeklampsie ist bekannt.

  • Unmittelbar postoperativ sind Uterus, Kreislauf und Diurese o. B. (Uhrzeit unbekannt)
  • 5 h postoperativ letzte Visite des diensthabenden FA (Uhrzeit unbekannt)
  • Seit 22 Uhr Oligurie (50ml Gesamt oder in x h?)
  • Am folgenden frühen Morgen (genaue Uhrzeit unbekannt, vermutlich vor 6 Uhr) Information (vermutlich des diensthabenden FA), dass diese Oligurie bestehe

Informationen zu der Organisation in der Klinik:

  • Hebammen haben 24 h - Dienste, arbeiten (alle?) über ein Belegsystem in der Klinik.
  • Die Klinik verfügt u. a. über einen Standard zur postoperativen Überwachung von
    Präeklampsie-Patientinnen.
  • Betroffene Hebamme sei ohne notwendige Einarbeitung bereits am dritten Tag tätig gewesen.
    Möglicherweise sei die offensichtlich vorgesehene Einarbeitungszeit nicht eingehalten worden.

Die Fallbeschreibung wirft einige Frage auf, deren Beantwortung für eine differenzierte Kommentierung notwendig wäre, infolge der anonymen Meldung je doch nicht möglich ist.

Aus diesem Grund sollen nun diese Frage aufgelistet und weitere Überlegungen zu den unten aufgeführten Problematiken angestellt werden:

1. Fragen, die die Fallbeschreibung aufwirft:

  • Aus dem Bericht geht leider nicht hervor, in welcher Art Klinik (ob in einem Perinatalzentrum des Levels 1 oder 2 oder einer sonstigen geburtshilflichen Versorgung) das Ereignis aufgetreten ist.
  • Ist die Hebamme die einzige Hebamme im Dienst?
  • Mit welchem Auftrag hat die Hebamme diese Patientin übernommen und wann hätte sie wen kurzfristig rufen sollen? Wie waren die Absprachen, wie war die Kommunikation zwischen Hebamme und Facharzt?
  • Aus welchen Gründen ist keine Einarbeitung der Hebamme in die klinikinternen Standards erfolgt?

2. Überlegungen zu den folgenden Thematiken

  1. Einarbeitung von Beleghebammen bzw. nicht-ständigen Mitarbeitern

    Die Arbeit der Hebammen in Krankenhäusern wird in der Regel von angestellten Hebammen wahrgenommen. Die Beschäftigung von Beleghebammen in Krankenhäusern wird vertraglich gestaltet. Unabhängig davon, ob eine Hebamme fest angestellt ist oder als Beleghebamme arbeitet, obliegt die Leitung der Geburten in der Geburtshilfeabteilung den leitenden Ärzten (z. B. Chefarzt der geburtshilflichen Abteilung), die den Hebammen die Aufgaben- und Verantwortungsbereiche zuweisen und insgesamt für eine sinnvolle Arbeitsteilung sorgen. Auch für eine postoperative Überwachung z. B. nach Kaiserschnitt ist zwar fachlich die versorgende Hebamme zuständig, die letzte Verantwortung liegt jedoch beim leitenden Arzt, bzw. dann beim Krankenhausträger, der für eine "zweckentsprechende Organisation des Krankenhauses" zu sorgen hat. "Gleichwohl ist es für die Hebamme von Bedeutung, den Rahmen ihrer Eigenverantwortlichkeit genau zu kennen". Sie ist an die vom Träger bestimmte Aufgabenstellung und Zielsetzung des Krankenhauses gebunden und verpflichtet sich, mit den im Krankenhaus arbeitenden Ärzten und nichtärztlichem Personal vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Zudem haftet sie gegenüber der Patientin unmittelbar für alle Schäden, die bei der geburtshilflichen Versorgung eintreten, wenn sie von ihr selbst verschuldet sind. Die allgemein in den Hebammenverordnungen der Länder geltenden Regelungen der "normalen Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett" sowie die aktuelle AWMF-Leitlinie 015/030 der DGGG und AG MedR "Empfehlungen zur Zusammenarbeit von Arzt und Hebamme in der Geburtshilfe – Aus ärztlicher Sicht" können für den praktischen Gebrauch eine grobe Orientierung liefern.

    Aus diesem Grund muss in den Verträgen, die die Kliniken mit Beleghebamme oder -arzt abschließen, festgelegt sein, wie die Qualitätsstandards gewährleistet werden, z. B.:

    • wie die Belegmitarbeiter diese zur Verfügung gestellt bekommen,
    • ob diese bzw. an welchen Besprechungen sie verpflichtend teilnehmen müssen und
    • wer für die Organisationzuständig ist, um die Einarbeitung der neuen Kollegin oder des neuen Kollegen zu gewährleisten.

    In der betroffenen Klinik waren diese Regelungen offensichtlich getroffen worden-warum eine Einarbeitung dennoch nicht korrekt erfolgte, kann jedoch nicht aus dem Bericht abgeleitet werden.

    Die Einbindung von externen Personen in die Krankenhausorganisation sollte generell strukturiert erfolgen, wie z. B. die Rahmenbedingungen und Regelungen für eine honorarärztliche Tätigkeit. [1]

    Für den Bereich der Geburtshilfe liegen die folgenden Leitlinien vor:

    • Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)/Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht (AG MedR).
      Empfehlungen zur Zusammenarbeit von Arzt und Hebamme in der Geburtshilfe - Aus ärztlicher Sicht. 2012. [2]
    • Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)/Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht (AG MedR).
      Mindestanforderungen an prozessuale, strukturelle und organisatorische Voraussetzungen für geburtshilfliche Abteilungen der Grund- und Regelversorgung. 2011. [3]

  2. Die adäquate Versorgung einer frisch entbundenen Patienten mit Präeklampsie

    Soll eine Gebärende mit einer schweren Präeklampsie entbinden, ist mindestens eine Klinik des Levels 2 erforderlich (nach der Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Reifgeborenen des G-BA [4]).

    Bei dem beschriebenen Krankheitsbild der Mutter sollte eine postoperative Überwachung auf einer Intermediate-Care-Station oder einem durchgängig besetzten Aufwachraum erwogen werden, da die Hebamme sich um das Kind oder ggf. um weitere Gebärende kümmern muss und so mit eine engmaschige Überwachung der Mutter gar nicht gewährleisten kann. Hier wäre auch die ärztliche Betreuung in kürzeren Abständen (geeignet für die Überwachung einer Patientin mit einem Krankheitsbild, das bekanntermaßen einen sehr dynamischen Prozessentwickeln kann) als die im Bericht erwähnten fünf Stunden möglich.

    Hinzu kommt die Empfehlung der dggg während der Geburt: "Abhängig von der jährlichen Geburtenrate sollen so viele Hebammen in der Klinik anwesend bzw. rufbereit sein, dass zu mehr als 95 % der Zeit eine 1 zu 1 Betreuung der Gebärenden gewährleistet ist. Dies erfordert pro zusätzlich 100 Geburten mindestens 0,93 weitere Hebammenstellen." [7]
    Daher würde eine personelle Aufstockung, nicht nur der Hebammen, sondern auch der GeburtshelferInnen, zu mehr Patientensicherheit von Mutter und Kind vor, während und nach der Geburt führen.

    Zu dieser Thematik gibt es folgende Leitlinie:
  • Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht (AG MedR). Postoperative Überwachung von Kaiserschnittpatientinnen. 2006 - Gültigkeit abgelaufen, Leitlinie wird z. Zt. überprüft. [5]

    Die Steuergruppe des Krankenhaus-CIRS-Netz Deutschland möchte zusätzlich auf die aktuelle gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht (AG MedR), der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) mit dem Titel "Zur Frage der postoperativen Überwachung von Kaiserschnittpatienten" [6] hinweisen.

Literatur:

  1. Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung. Honorarärztliche Tätigkeit in Deutschland. Positionsbestimmung der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Berlin, 2011.
    Online: www.bundesaerztekammer.de/downloads/honoraraerzte_26052011.pdf (Abruf am 13.10.2014)
  2. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. S1-Leitlinie 015 - 030: Empfehlungen zur Zusammenarbeit von Arzt und Hebamme in der Geburtshilfe Aus ärztlicher Sicht. 2012.
    Online: http://docplayer.org/4675264-Empfehlungen-zur-zusammenarbeit-von-arzt-und-hebamme-in-der-geburtshilfe-aus-aerztlicher-sicht.html (Abruf am 07.03.2016)
  3. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht. S1-Leitlinie 015 - 078: Mindestanforderungen an prozessuale, strukturelle und organisatorische Voraussetzungen für geburtshilfliche Abteilungen der Grund- und Regelversorgung. . 2013. Online: www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015-078l_S1_Prozessule_Strukturelle_Organisatorische_Voraussetzungen_2013-05.pdf (Abruf am 07.03.2016)
  4. Gemeinsamer Bundesausschuss. Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh-und Reifgeborenen. Qualitätssicherung-Richtlinie Früh-und Reifgeborene- QFR-RL. 2014.
    Online: https://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/41/ (Abruf am 14.11.2014)
  5. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht. S1-Leitlinie 015 - 056: Postoperative Überwachung von Kaiserschnittpatientinnen. 2010. Online: www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015-056_S1_Postoperative_UEberwachung_von_Kaiserschnittpatientinnen_abgelaufen.pdf (Abruf am 18.09.2014)
  6. Van Aken H, Biermann E, Bremerich D, Kessler P. Zur Frage der postoperativen Überwachung von Kaiserschnittpatientinnen. Anästh Intensivmed 2016;57:45-50. Online: www.bda.de/docman/alle-dokumente-fuer-suchindex/oeffentlich/aktuelles-1/1232-zur-frage-der-postoperativen-ueberwachung-von-kaiserschnittpatientinnen/file.html (Abruf 26.01.2016)
  7. Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin. S1-Leitlinie 087-001: Empfehlungen für die strukturellen Voraussetzungen der perinatologischen Versorgung in Deutschland. 2015. Online: www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/087-001l_S1_Perinatologische_Versorgung_2015-05.pdf (Abruf 12.2.2016)