Fälle des Monats
- Fall des Monats "Januar 2015": Patientenakte nicht verfügbar / Sichere Patientenidentifikation - Unstimmigkeiten wurden bemerkt
- Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de
Fall des Monats "Januar 2015"
Bericht 1: Patientenakte nicht verfügbar
- Fall-Nr: 116070
- Titel: Patientenakte nicht verfügbar
- Zuständiges Fachgebiet: Anästhesiologie
- Wo ist das Ereignis passiert?: Krankenhaus
- Welche Versorgungsart: Routinebetrieb
- Was ist passiert?: Pat. erhielt morgens die Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin (NMH) auf der Geriatrie-Station (nicht wie in der Chirurgie üblich abends).
Pat. musste dann bei Sprungelenkfraktur operiert werden. OP wird in Spinalanästhesie durchgeführt. Weil die Kurve der Geriatrie nicht vorlag, konnte der Zeitpunkt der NMH-Gabe nicht gesehen werden. PatientIn erhielt somit eine von den Leitlinien nicht empfohlene rückenmarknahe Punktion (vorgeschriebenes Intervall NHM-Gabe und RM-Punktion). - Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereigniss?: Es kann durch eine gute Dokumentation, die dem Patienten zugeordnet wird (egal welcher Fachbereich; Papierform oder elektronisch) verhindert werden.
Die Fachdisziplinen sollten die Patientenakten nicht horten, sondern diese sollten jederzeit von allen Behandelnden einsehbar sein. - Wie häufig tritt dieses Ereignis ungefähr auf?: monatlich
- Wer berichtet?: Arzt / Ärztin, Psychotherapeut / Psychotherapeutin
Bericht 2: Sichere Patientenidentifikation - Unstimmigkeiten wurden bemerkt
- Fall-Nr: 116072
- Titel: Sichere Patientenidentifikation - Unstimmigkeiten wurden bemerkt
- Zuständiges Fachgebiet: Chirurgie
- Altersgruppe des Patienten: 61-70
- Geschlecht des Patienten: männlich
- Wo ist das Ereignis passiert?: Krankenhaus
- Welche Versorgungsart: Routinebetrieb
- In welchem Kontext fand das Ereignis statt?: Organisation (Schnittstellen / Kommunikation)
- Was ist passiert?: Bei der Patientenidentifikation fiel auf, dass auf dem chirurgischen Aufklärungsbogen lediglich der Patientenname dem Patienten zugeordnet werden konnte. Geburtsdatum und Adresse stimmten nicht mit den abgefragten Daten überein.
- Was war das Ergebnis?: Nach Rücksprache mit dem Operateur und dem Patienten wurde festgestellt, dass die Anamnese mit dem geplanten Eingriff übereinstimmte, der Patient bestätigte seine Unterschrift und die vorgenommenen Erläuterungen. Er bestätigte auch, dass er seine Daten nicht abgeglichen hatte. Der planmäßige Eingriff verzögerte sich so um 15 Minuten.
- Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis?: Die Aufnahme des Patienten erfolgte korrekt, das Patientenetikett wurde nicht genutzt, sondern die elektronische Patientenakte, aus der ein nur namentlich gleichlautende Person ausgewählt wurde. Vermeidbar durch Kontrolle nach Ausdruck des Dokumentes.
- Kam der Patient zu Schaden?: nein
- Welche Faktoren trugen zu dem Ereignis bei?:
- Kommunikation (im Team, mit Patienten, mit anderen Ärzten etc.)
- Persönliche Faktoren des Mitarbeiters (Müdigkeit, Gesundheit, Motivation etc.)
- Organisation (zu wenig Personal, Standards, Arbeitsbelastung, Abläufe etc.)
- Wie häufig tritt dieses Ereignis ungefähr auf?: erstmalig
- Wer berichtet?: Pflege-, Praxispersonal
Fachkommentar der Steuergruppe KH-CIRS-Netz Deutschland:
Fachkommentar der Steuergruppe KH-CIRS-Netz Deutschland:
Autorin: Christina Gunkel, Diplom-Pflegewirtin (FH)
Die richtigen und umfassenden Informationen über Patienten sind Grundlage für eine sichere Durchführung von operativen Eingriffen. Ohne die Patientenakte kann eine sichere Operation nicht durchgeführt werden, da wesentliche Informationen zum Patientenzustand (Begleiterkrankungen, Befunde), zu bisherigen Behandlungsmaßnahmen und über die Medikation fehlen. Auch die Aufklärung und schriftliche Einverständniserklärung zur Operation des Patienten ist Teil der Patientenakte, welche im Rahmen der Vorbereitung auf die Operation (z. B. vor Narkoseeinleitung) hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft werden sollte.
Der prä- und perioperative Versorgungsprozess ist ein komplexer Vorgang mit vielen separaten Arbeitsschritten an unterschiedlichen Orten und mit verschiedenen beteiligten Personen. Der Versorgungsprozess sollte dahingehend überprüft werden, ob wichtige sicherheitsrelevante Prozesspunkte anhand von Mindeststandards erfolgen. Der Prozess zur Vermeidung von Eingriffsverwechslungen beginnt vom Zeitpunkt der Aufnahme (bzw. vorstationären Maßnahmen) bis hin zum Operationsbeginn - dem ersten Hautschnitt. Unter einer Eingriffsverwechslung wird die Operation des falschen Patienten, des falschen Eingriffsortes oder die Anwendung der falschen OP-Prozedur verstanden. Ein Instrument für die Prozessstandardisierung und zur Verbesserung der Information sowie Teamkommunikation sind OP-Checklisten.
Weiterführende Informationen zu OP-Checklisten sind in den Ergebnissen des internationalen Projektes der Weltgesundheitsorganisation "Action on Patient Safety: High 5s" zu entnehmen. Zusammenfassend werden folgende Aspekte dargestellt:
Im Rahmen des High 5s-Projektes wurde die Machbarkeit der Einführung einer standardisierten Handlungsempfehlung zur Vermeidung von Eingriffsverwechslungen untersucht. Anhand einer OP-Checkliste wurde in 16 deutschen Krankenhäusern der prä- und perioperative Versorgungsprozess standardisiert und die Zuständigkeiten/Verantwortlichkeiten sowie der Umgang mit möglichen Abweichungen festgelegt. Mindestens drei Prozesspunkte wurden auf der OP-Checkliste abgebildet:
- die präoperative Patientenverifikation
- die Markierung des Eingriffsortes
- das Team-Time-Out
An den verschiedenen Prozesspunkten wird die Patientenidentität mindestens anhand von zwei Identifikationsmerkmalen (z. B. vollständiger Name und Geburtsdatum) erfragt und anhand der Patientenakte sowie, wenn vorhanden, mit dem Patientenidentifikationsarmband abgeglichen. Die Prüfpunkte werden auf der OP-Checkliste abgehakt und ggf. mit einem Handzeichen der durchführenden Person bestätigt. Weiterhin wird im Rahmen der OP-Vorbereitung geprüft, ob die erforderliche Aufklärung und Zustimmung des richtigen Patienten sowie die vollständige Patientenakte und Befunde für die Operation vorliegen. Sollten bei der Prüfung (Patientenidentität, Vollständigkeit der erforderlichen Unterlagen) Unstimmigkeiten vorliegen, so müssen diese entweder kurzfristig geklärt oder die Operation kann unter den gegeben Umständen (Informationsdefizite, fehlende Unterlagen) nicht sicher durchgeführt werden.
Informationen im Internet finden Sie:
- allgemein über das High 5s-Projekt
http://patientensicherheit-online.de/h5s (Abruf am 06.01.2015) - über die Handlungsempfehlung zur Vermeidung von Eingriffsverwechslungen
http://patientensicherheit-online.de/h5s/high5s-eingriffsverwechslungen (Abruf am 06.01.2015) - zu den OP-Checklisten aus dem High 5s-Projekt
http://www.arztbibliothek.de/mdb/edocs/pdf/patientensicherheit/high-5s-op-checkliste.pdf (Abruf am 06.01.2015) - über die Handlungsempfehlung zur sicheren Patientenidentifikation des Aktionsbündnis Patientensicherheit
http://www.aps-ev.de/fileadmin/fuerRedakteur/PDFs/Handlungsempfehlungen/Patientenidentifikation/08-03-03_PID_Empfehlung_final_0.pdf (Abruf am 06.01.2015)