CIRS Berlin ÄZQ Deuschte Krankenhaus Gesellschaft Deutscher Pflegerat e.V.

Fälle des Monats

Fall des Monats „Dezember 2013“: Unvollständiges Sieb bei OP

  • Titel: Unvollständiges Sieb bei OP
  • Zuständiges Fachgebiet: Orthopädie
  • Altersgruppe: 71-80
  • Geschlecht: männlich
  • Wo ist das Ereignis passiert? Krankenhaus
  • Welche Versorgungsart: Routinebetrieb
  • In welchem Kontext fand das Ereignis statt? keine Angabe
  • Was ist passiert? Sägelehre für femorale Komponente (Kniegelenksendoprothese) war nicht im Sieb. Patient war bereits intubiert.
  • Was war das Ergebnis? Wartezeit auf Sieb/ Instrumentarium
  • Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis und wie könnte es in Zukunft vermieden werden? Sieb nicht nach Packliste gepackt, falsche Bezeichnung des Instrumentariums
  • Kam der Patient zu Schaden? keine Angabe
  • Welche Faktoren trugen zu dem Ereignis bei?
    • Kommunikation (im Team, mit Patienten, mit anderen Ärzten etc.)
    • Ausbildung und Training
    • Persönliche Faktoren des Mitarbeiters (Müdigkeit, Gesundheit, Motivation etc.)
    • Organisation (zu wenig Personal, Standards, Arbeitsbelastung, Abläufe etc.)
  • Wie häufig tritt ein solches Ereignis ungefähr auf? monatlich
  • Wer berichtet? Pflege-, Praxispersonal

Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de:

Autor: Prof. Dr. med. Hartmut Siebert, Stellvertretender Vorsitzender des Aktionsbündnis Patientensicherheit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie

Wem ist es nicht schon als Operateur oder instrumentierende Fachpflegekraft passiert, dass ein Instrument oder eine Komponente zu einem Implantat nicht vorbereitet, nicht greifbar zur Verfügung stand?

Mit der zunehmenden Spezialisierung und Diversifikationen von Implantaten - insbesondere auch im orthopädisch-unfallchirurgischen Bereich - sowie mit der fehlenden Normierung von z. B. Schrauben und Schraubendrehern, Zielgeräten für die Implantation von Implantaten im Bereich der Endoprothetik ist es für jede Klinik, insbesondere den OP-Bereich (hier: Lagerhaltung, Zentralsterilisation und fachbereichsverantwortliche OP-Leitung), besonders schwierig, Implantatzubehöhr und die für die Implantation speziellen Instrumente vollständig zu Beginn des Eingriffs vorzubereiten und greifbar zu haben.

Der beschriebene Fall ist deshalb sicherlich keine Seltenheit und passiert gefühlt zigmal an einem normalen OP-Tag in deutschen Kliniken (1).

Im beschriebenen Fall ist der Patient nicht zu Schaden gekommen, sieht man von einer längeren OP-Dauer ab. Problematisch und hochschadensträchtig wird es jedoch dann, wenn das fehlende Instrument/Implantat/Zubehöhr nicht vorhanden ist und der Operateur gezwungen wird zu "improvisieren" und er damit Risiken eingeht, die zeitnah oder nach längerer Zeit zu vermeidbaren Komplikationen wie Implantatlockerung etc. führen.

Ein vor der OP von der Instrumentierenden Fachpflegekraft auf Vollständigkeit und Funktionsfähigkeit (!) überprüftes Operationssieb ergänzt durch die speziellen zur OP vorgesehenen Implantate und Instrumente zur sicheren Implantation sind unabdingbare Voraussetzungen für einen sicheren Eingriff und deshalb "Behandlungsstandard". Ein Defizit muss als schwerer Behandlungsfehler mit Beweislastumkehr im Sinne auch eines Organisationsfehlers gewertet werden.

Vielfältige Gründe für die Nichteinhaltung dieses Standards sind unter anderem:

Weitere mögliche und häufige Ursachen:

  • Fehlende Schulung / Einweisung und / oder Wiederholungen bei Einführung von Verfahren mit neuen Implantaten und Instrumenten
  • Unstrukturierte Kommunikation Operateur - OP-Personal
  • Team Time out nicht eingeführt oder unvollständig

Zur Vermeidung derartiger vermeidbarer unerwünschter Ereignisse empfiehlt das Aktionsbündnis Patientensicherheit sowohl die Einhaltung der Checkliste safe-surgery der WHO sowie zusätzliche "Sicherheitsschleusen" einzurichten. Zum Beispiel:
OP-Planung:

  • deutliche Kennzeichnung der notwendigen Implantate und Instrumente für den auf dem OP-Plan gelisteten Eingriff mit Rückmeldung an Operateur, wenn Unklarheiten bestehen (am Tag vor dem Eingriff bzw. rechtzeitig vor Einschleusen des Patienten)
  • Strichprobenartige Überprüfung der Zusammensetzung der OP-Siebe bei neu eingeführten Verfahren
  • Listen der notwendigen Instrumente/Implantate transparent allen zur VerfuÃàgung stellen und regelmäßig auf Vollständigkeit und Aktualität überprüfen unter Einbeziehung der MitarbeiterInnen der Zentralsterilisation
  • regelhafte Kontrollen auf Vollständigkeit und Aktualität der OP-Siebe/Lagerhaltung für Implantate
  • Team Time out in 2 Stufen:
    • 1. Stufe: Vor Einleitung der Narkose: Empfehlungen zur Patientenidentifikation und Vermeidung von Seitenverwechslungen, Dokumente zur Überprüfung der Diagnose, zum Beispiel: Röntgen-Bilder, geplantes Verfahren unter Verwendung welcher Implantate bzw. spezieller Instrumente. In manchen Fällen empfiehlt es sich, rechtzeitig Vorkehrungen für Alternativverfahren zu treffen.
    • 2. Stufe: Patient ist intubiert im OP-Raum, vor Hautinzision: Operateur nennt Diagnose und geplantes operatives Verfahren mit notwendigen Implantaten und speziellen dafür notwendigen Instrumenten. Die instrumentierende Pflegefachkraft bestätigt das Vorhandensein der genannten Instrumente und Implantate auf dem Instrumenten-/Implantatetisch bzw. deren sterile Verfügbarkeit im Raum.

Jeder Einrichtung ist zu empfehlen, im Rahmen der monatlichen Teambesprechungen derartige Vorkommnisse bzw. Fehler, die keinen Schaden verursacht haben, zu berichten und dies auch zu dokumentieren. Bei Auffälligkeiten muss eine Ursachenanalyse erfolgen, Risiken identifiziert und Maßnahmen zur Vermeidung getroffen werden.

Es kann unter Umständen auch notwendig sein, eine Bestandsaufnahme der vorgehaltenen/gelagerten Implantate und ihrer speziellen Instrumente zur Implantation durchzuführen und zu überprüfen, welche Möglichkeiten zur systematischen Vereinheitlichung der Vorhaltung und Bestückung möglich sind, um eine Fehlermöglichkeit zu vermindern.

Besonders risikoreich im Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie sind Wechseleingriffe von Implantaten und Metallentfernungen. Insbesondere dann, wenn keine ausreichende Bild-Dokumentation zur Identifikation des in situ befindlichen Implantates vorliegt. In solchen Fällen sollte das Risiko klar angesprochen und alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, das Implantat exakt zu identifizieren, um die notwendigen Instrumente zum Entfernen bzw. Austausch bereits vor dem geplanten Eingriff vorrätig zu haben. Hilfreich sind dabei die Hersteller und der Berufsverband Medizintechnologie e.V. Ein derartiger Eingriff sollte nicht ohne vorherige

Kenntnis des Implantates und seiner spezifischen Instrumente zur Entfernung durchgeführt werden.

Literatur und Links:

(1) Burnett et al. How reliable are clinical systems in the UK NHS? A study of seven NHS organisations. BMJ Qual Saf doi:10.1136/bmjqs-2011-000442. http://qualitysafety.bmj.com/content/early/2012/04/10/bmjqs-2011-000442.full