Fälle des Monats
- Fall des Monats „August 2011“: Reanimation - relevante Krankenunterlagen nicht einsehbar
- Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de
Fall des Monats „August 2011“: Reanimation - relevante Krankenunterlagen nicht einsehbar
- Titel: Reanimation - relevante Krankenunterlagen nicht einsehbar
- Altersgruppe: 71-80
- Geschlecht: Weiblich
- Zuständiges Fachgebiet: Chirurgie
- In welchem Kontext fand das Ereignis statt?: Invasive Massnahmen (Diagnostik / Therapie)
- Wo ist das Ereignis passiert?: Krankenhaus
- Versorgungsart: Routinebetrieb
- Was ist passiert?: Relevante Krankenunterlagen bei Reanimation nicht einsehbar.
- Was war das Ergebnis?: Patientin wurde am 1. postop. Tag in den Stuhl mobilisiert und nach
wenigen Minuten bewußtlos. Reanimation bei Asystolie für ca. 5 Minuten dann vollständige Wiederherstellung innerhalb von 30 Minuten. Keine weiteren Folgen. - Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis und wie könnte es in Zukunft vermieden werden?: Relevante Krankenunterlagen im Krankenhausinformationssystem waren aufgrund einer Lesesperre nicht einsehbar - bzw. das Vorhandensein dieser Unterlagen war nicht bekannt. Da verschiedene Fachabteilungen verschiedene Krankenakten benutzen, gehen Informationen verloren. Diese Situation tritt häufig, je nach Größe der Institution sicherlich täglich auf. Abhilfe schafft eine alleinige Krankenakte pro Patient, für alle Behandler einsehbar, mit allen Diagnosen und Prozeduren.
- Wie häufig tritt ein solches Ereignis ungefähr auf?: Erstmalig
- Kam der Patient zu Schaden?: Passagerer Schaden leicht - mittel.
- Welche Faktoren trugen zu dem Ereignis bei?: Kommunikation (im Team, mit Patienten, mit anderen Ärzten etc.)
- Wer berichtet?: Arzt / Ärztin, Psychotherapeut/in
Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de
Autorin: PD Dr. med. O. Vargas Hein, MBA
Leitung des zentralen Qualitätsmanagements der Charité, Berlin
Die Speicherung von Patientendaten in verschiedene KIS-Subsysteme
ist in vielen Krankenhäusern ein Problem. Meistens kommunizieren diese
Subsysteme nicht miteinander und es erfolgt somit keine Übertragung der
Informationen in das Hauptsystem. Oder es ist im Hauptsystem überhaupt
nicht erkennbar, dass in andern Subsystemen zu dem Patienten
Informationen vorhanden sind.
Allerdings scheint es in diesem Fall so zu sein, dass die aktuell
behandelnde Abteilung keinen Zugriff auf die bereits im KIS-Hauptsystem
vorliegenden Patientendaten hat. Normalerweise gibt es für die
einzelnen Patienten eine Bewegungsliste in der eingesehen werden kann,
in welchen Abteilungen der Patient im Laufe des derzeitigen
Krankenhausaufenthaltes gelegen hat, bzw. eine Fallliste in der
eingesehen werden kann, in welchen Abteilungen der Patient in früheren
Aufenthalten behandelt wurde. Die Frage ist, inwiefern die aktuelle
Abteilung diese Bewegungsliste und Fallliste einsehen kann.
Leserechte können auf unterschiedlichen Ebenen vergeben sein: nur
Bewegungsliste, alle Patientendaten des jetzigen Aufenthalts,
Patientendaten früherer Krankenhausaufenthalte. Der
datenschutzrechtlich konforme Zugriff auf Patientendaten ist immer im
Behandlungszusammenhang zu beurteilen. D. h. alle an der Behandlung
beteiligten Personen haben Zugriffsrechte auf Patientendaten. Die
Beteiligten sind der Arzt, als Hauptverantwortlicher und seine
Erfüllungsgehilfen. Zu den Erfüllungsgehilfen gehören z. B. auch das
Controlling und die Abrechnung. Allerdings sind diese Zugriffsrechte im
Sinne des Behandlungszusammenhangs auf die Funktion der Beteiligten,
auf eine zeitliche und inhaltliche Komponente und auf Schreib- und
Leserechte zu definieren. Die Gesetzgebung (§ 203 StGB: Ärztliche
Schweigepflicht, Landeskrankenhausgesetz, Bundes- und
Landesdatenschutzgesetz) geben hier keinerlei konkrete Vorgaben und so
bleibt es Interpretationssache. Dementsprechend ist die Handhabung in
den Krankenhäusern Deutschlands sehr unterschiedlich mit einer Tendenz
zu sehr offenen Zugriffsrechten.
Bei der Präzisierung der Zugriffsrechte besteht der Konflikt zwischen
dem medizinisch Erforderlichen und der einschränkend interpretierten
Gesetzgebung von Seiten der Datenschutzbeauftragten. Dieser Konflikt
ist im Zuge der zunehmenden Digitalisierung von Patientendaten richtig
zu Tage gekommen. Auch aus diesem Grund haben die
Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder eine
Orientierungshilfe KIS (siehe Anhang) im März dieses Jahres
herausgegeben, die den Datenschutzbehörden als Maßstab zur Beurteilung
der Zugriffsrechte von KIS dienen soll. Diese Orientierungshilfe muss
auf Länderebene ggf. länderspezifisch überarbeitet und verabschiedet
werden. Für Berlin ist sie so übernommen worden.
Dieser Fall zeigt sehr schön, dass es für die aktuell behandelnde
Abteilung immanent wichtig gewesen wäre auf die Patientendaten der
früher behandelnden Abteilungen des jetzigen Aufenthalts und/oder
früherer Aufenthalte zugreifen zu können.
Datenschutzrechtlich unproblematisch sollte in der Diskussion mit den
Datenschutzbeauftragten dieses umfassende Zugriffsrecht für den
behandelnden Arzt sein, Datenschutzrechtlich diskussionswürdig wäre z.
B. für das Pflegepersonal der Station die Einsicht in Patientendaten
früherer Aufenthalte.
Aus meiner Sicht, zeigt gerade dieser Fall wie wichtig auch dieser
Zugriff ist, wenn z. B. das abteilungsfremde Reanimationsteam und das
Stationspflegepersonal Patientendateneinsicht benötigen und der
Abteilungsarzt (noch) nicht vor Ort ist. Erarbeitet das Krankenhaus ein
Datenschutzkonzept für sein KIS, so sind dieses die Beispiele die in
der Diskussion mit den Datenschutzbeauftragten gebracht werden müssen,
Patientensicherheit geht nämlich vor!
Anhang:
- Beschluss der 81. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 16./17. März 2011 in Würzburg
- Orientierungshilfe Krankenhausinformationssysteme. Stand März 2011. Unterarbeitsgruppe
Krankenhausinformationssysteme der Arbeitskreise Gesundheit und Soziales sowie Technische und organisatorische Datenschutzfragen der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
beide Anhänge siehe unten oder unter: http://www.datenschutz-berlin.de/content/deutschland/konferenz
Medien:
- Dateiname: Beschluss-Datenschutzbeautragte des Bundes und der Länder
Kommentar: Beschluss Datenschutzbeauftragte - Dateiname: Orientierungshilfe-Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder
Kommentar: Orientierungshilfe